Viele Unternehmen agieren mit Arbeits- oder Dienstanweisungen. Manchmal ist auch die Rede von Betriebsordnung, Hausordnung, Verhaltenskodex, Spielregeln, Policies oder Ähnlichem. Gestützt werden diese auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Häufig herrscht große Unsicherheit bei Betriebsräten, ob und inwieweit hier eine Mitbestimmung greift. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber sich darauf beruft, dass lediglich das mitbestimmungsfreies Arbeitsverhalten betroffen sei. Wir klären Sie auf, was es damit auf sich hat und woran Sie erkennen können, dass Sie als Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht haben.
Der Arbeitgeber hat ein Direktions- und Weisungsrecht gegenüber allen Arbeitnehmern. Dieses berechtigt den Arbeitgeber, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer näher zu bestimmen. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb (vgl. § 106 GewO). Auf dieses Direktions- und Weisungsrecht berufen sich Arbeitgeber gerne. Manchmal wird arbeitgeberseitig sogar behauptet, dass der Betriebsrat aufgrund des Direktions- und Weisungsrechts kein Mitbestimmungsrecht habe. Doch hierauf sollten Betriebsräte nicht hereinfallen. Nur weil der Arbeitgeber sich arbeitsrechtlich auf ein Direktions- und Weisungsrecht stützen kann, schließt das eine Mitbestimmung des Betriebsrats nicht automatisch aus.
Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
Hierbei ist nämlich insbesondere das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten. Danach hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist hierbei allerdings zwischen dem sogenannten Ordnungsverhalten und dem sogenannten Arbeitsverhalten zu unterscheiden. Danach unterliegen Maßnahmen zum Ordnungsverhalten der Mitbestimmung des Betriebsrats, wohingegen Maßnahmen zum Arbeitsverhalten nicht mitbestimmungspflichtig sind.
Was man unter Ordnungsverhalten versteht
Das Ordnungsverhalten betrifft alle Maßnahmen des Arbeitgebers im Hinblick auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder hinsichtlich der Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebes. Gegenstand des Mitbestimmungsrechtes ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten. Zur Ordnung des Betriebes gehören allgemeingültige verbindliche Verhaltensregeln, die dazu dienen, das sonstige Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und zu koordinieren. Hinzu kommen noch Maßnahmen des Arbeitgebers, mittels derer die Ordnung des Betriebes aufrechterhalten werden soll.
Praxisbeispiele für Ordnungsverhalten
Typische Praxisbeispiele für Maßnahmen zum Ordnungsverhalten sind insbesondere
- Erlass eines Alkoholverbots (BAG, 23.09.1986 – 1 AZR 83/85),
- Spielregeln zum Rauchen im Betrieb (BAG, 19.01.1999 – 1 AZR 499/98),
- Anweisungen zum vorzeitigen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit (BAG, 25.01.2000 – 1 ABR 3/99),
- Vorschriften über das Tragen von Dienstkleidung (BAG, 13.02.2007 – 1 ABR 18/06),
- Einführung, Ausgestaltung und Nutzung von Werksausweisen (BAG, 16.12.1986 – 1 ABR 35/85),
- Regelungen über das Betreten und Verlassen des Betriebes (BAG, 21.04.2004 – 1 ABR 7/13),
- Durchführung von Taschenkontrollen (BAG, 09.07.2013 – 1 ABR 2/13),
- Festlegung von Nutzungsbedingungen für Mitarbeiterparkplätze (BAG, 07.02.2012 – 1 ABR 63/10) und
- neuerdings wohl auch betriebliche Vorgaben zum Cannabiskonsum.
Was man unter Arbeitsverhalten versteht
Beim Arbeitsverhalten geht es hingegen um Maßnahmen, mit denen der Arbeitgeber die Arbeitspflicht der Arbeitnehmer unmittelbar konkretisiert. Darunter fallen Weisungen und Regeln, die von den Arbeitnehmern bei der Erbringung ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu beachten sind. Diese sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mitbestimmungsfrei, auch wenn es sich hierbei um generelle Anweisungen an alle Arbeitnehmer handelt.
Typische Maßnahmen zum Arbeitsverhalten
Zum Arbeitsverhalten gehören also typischerweise Anweisungen und Vorgaben, welche Aufgaben der Arbeitnehmer konkret erledigen soll, in welcher Reihenfolge sowie in welcher Art und Weise diese Aufgaben erledigt werden sollen. Vom Bundesarbeitsgericht als Maßnahmen zum Arbeitsverhalten wurden beispielsweise angesehen
- Anordnungen über das Führen formalisierter Tätigkeitsberichte (BAG, 24.11.1987 – 1 ABR 108/69),
- Ausfüllen von Überstundennachweisen (BAG, 09.12.1980 – 1 ABR 1/78),
- Einsatz von Privatdetektiven (BAG, 26.03.1991 – 1 ABR 26/90),
- Durchführung von Informationsveranstaltungen über Hintergrundwissen zum Unternehmen während der Arbeitszeit (BAG, 15.04.2014 – 1 ABR 85/12)
- Standardisierter Fragenkatalog zum Führungsverhalten von Vorgesetzten (BAG, 17.03.2015 – 1 ABR 41/13),
- Anweisung an Vorgesetzte, wie bei Ab- und Rückmeldungen von Arbeitnehmern beim Verlassen des Betriebes zu verfahren ist (BAG, 13.05.1997 – 1 ABR 2/97),
- Verwendung von Laufzetteln, auf denen vermerkt ist, welche Arbeitsmittel ausgehändigt worden sind (BAG, 25.09.2012 – 1 ABR 50/11),
Problemfall Misch-Tatbestände
So einleuchtend diese Unterscheidung zwischen Ordnungs- und Arbeitsverhalten auch sein mag. Schwierig wird es bei Maßnahmen, die sowohl das Ordnungs- als auch das Arbeitsverhalten betreffen und insoweit beidem zugeordnet werden können. Mögliche Beispiele für solche Misch-Tatbestände sind
- Regelungen über das Aufräumen am Arbeitsplatz wie z.B. beim Desk-Sharing mit Clean-Desk-Policy, also die Weisung, den geteilten Arbeitsplatz am Ende des jeweiligen Arbeitstages vollständig aufzuräumen,
- Vorgaben zum Ausfüllen von arbeitsbegleitenden Arbeitspapieren wie z.B. das Eintragen der aufgewendeten Arbeitszeiten für ein bestimmtes Projekt oder
- die Durchführung von Kundenbefragungen und Testkäufen.
Was bei Misch-Tatbeständen gilt
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es bei Misch-Tatbeständen nicht auf die subjektiven Vorstellungen an, die den Arbeitgeber zu der Maßnahme bewogen haben.
Entscheidend soll vielmehr der jeweilige objektive Regelungszwecks sein, welcher sich nach dem Inhalt der Maßnahme sowie nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens bestimme. Wirke sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und Arbeitsverhalten aus, kommt es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt.
Aktuelle BAG-Entscheidung zum Verbot privater Handynutzung im Betrieb
Zu einem solchen Grenzfall erging zuletzt eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 17.10.2023 – 1 ABR 24/22). Hierbei ging es um die Frage, ob ein generelles Verbot der privaten Nutzung von Mobiltelefonen während der Arbeitszeit der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt oder nicht.
Das höchste deutsche Arbeitsgericht entschied, dass ein solches Verbot lediglich als Teil der Arbeitsorganisation anzusehen sei, welches kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslöse. Im Gegensatz zur Regelung des Ordnungsverhaltens ziele das Verbot nicht auf das betriebliche Miteinander ab, sondern auf die ordnungsgemäße und zügige Aufgabenerfüllung.
Bei Maßnahmen, die sowohl das Arbeits- als auch Ordnungsverhalten betreffen, sei der überwiegende Regelungszweck entscheidend. Dieser bestimme sich anhand des Einzelfalles nach objektiven Kriterien. Vorrangig solle das Verbot die konkrete Arbeitspflicht des Einzelnen und deren Erfüllung regeln und nicht das betriebliche Miteinander. Ziel sei es dabei, zügiges und konzentriertes Arbeiten trotz häufiger Unterbrechungen der Haupttätigkeit sicherzustellen. Denn die Bedienung des Mobiltelefons beanspruche zumindest für eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit des einzelnen Arbeitnehmers. Dabei sei es unerheblich, ob es tatsächlich zu einer Arbeitsbeeinträchtigung komme. Der Schwerpunkt liege demnach im Arbeitsverhalten, auch wenn nicht ausgeschlossen sei, dass das betriebliche Zusammenleben tangiert werde.
Rechtssprechungswandel beim Bundesarbeitsgericht?
Bemerkenswert ist, dass das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung ausdrücklich nicht mehr an der gegebenenfalls engeren Auslegung des Arbeitsverhaltens aus seiner früheren Entscheidung zum Verbot der Radionutzung während der Arbeitszeit (BAG, 14.01.1986 – 1 ABR 75/83) festhält.
Trotzdem ist von einem Rechtsprechungswandel beim Bundesarbeitsgericht wohl nicht unbedingt auszugehen. Denn der entscheidende Aspekt, ob ein mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten vorliegt, unterliegt in beiden Entscheidungen denselben Kriterien. Beim Radiohören sind in der Regel mehrere Arbeitnehmer gleichzeitig betroffen, wohingegen beim Mobiltelefon die individuelle Nutzung durch den betroffenen Mitarbeiter überwiegt. Hierauf beruht letztlich die unterschiedliche rechtliche Bewertung. Auch nach der „neuen“ Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wäre der Fall zum Radioverbot von 1986 nach dem überwiegenden Regelungszweck wohl weiterhin als eine Regelung des Ordnungsverhaltens zu bewerten.
Autor: Ingo Mrowka, LL.M.,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Jüchen