Schwerbehinderte Menschen, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) tätig sind, haben bei der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung das aktive Wahlrecht. Laut einem Grundsatzbeschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gilt das selbst dann, wenn in der Einrichtung bereits ein sog. Werkstattrat existiert (Az.: 7 ABR 36/23).

Hintergrund für den Rechtstreit ist eine Wahl zur Schwerbehindertenvertretung (SBV), die im Spätherbst 2022 bei einem sozialen Unternehmen stattgefunden hatte, das neben ambulanten und teilstationären Diensten auch Wohnstätten betreibt und Beschäftigung zur Rehabilitation und beruflichen Teilhabe in Werkstätten für Menschen mit Behinderung anbietet.

Den Urnengang war von mehreren Mitarbeitern angefochten worden, da der Wahlvorstand ihrer Meinung nach zu Unrecht etwa 200-300 schwerbehinderte Werkstattbeschäftigte nicht auf die Wählerliste gesetzt hatte. Da die  entsprechenden Personen unzweifelhaft „Beschäftigte“ i.S.v. § 177 Abs. 2 SGB IX und damit wahlberechtigt seien, könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis bei ihrer Beteiligung anders ausgefallen wäre.

Das sah der Arbeitgeber anders und bestritt die Wahlberechtigung. Die in der Werkstatt tätigen Rehabilitanden seien bereits durch einen sog. Werkstattrat (§ 222 SGB IX) ausreichend vertreten.

Vor Gericht fand das Unternehmen mit seiner Rechtsauffassung allerdings kein Gehör: Nachdem bereits die ersten beiden Instanzen die SBV-Wahl als unwirksam eingestuft hatten (wir berichteten), entschied letztinstanzlich auch das BAG in diesem Sinne. Es sei „gegen eine wesentliche Vorschrift über die Wählbarkeit verstoßen worden, indem die schwerbehinderten Werkstattbeschäftigten von den Wahlen ausgeschlossen waren“, so die Richterinnen und Richter.

Arbeitnehmerstatus bei Wahl zur SBV unerheblich

Ihr Hauptargument: § 177 Abs. 2 SGB IX lege fest, dass sämtliche im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen bei der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt seien. Ob jemand Arbeitnehmer/-in sei – Menschen in WfbM gelten rechtlich zumeist als arbeitnehmerähnliche Personen -,  spiele in dieser Hinsicht laut Gesetz gerade keine Rolle. Zudem erfüllten die schwerbehinderten Werkstattangehörigen die für die Wahlberechtigung notwendige Voraussetzung einer Beschäftigung im Betrieb „unabhängig davon, ob sie in diesen eingegliedert sind“.

Der Siebte Senat führte dabei zur Begründung weiter aus:

„Der Gesetzgeber beschränkt die Schwerbehindertenvertretung nicht auf die Interessenwahrung der schwerbehinderten Arbeitnehmer, sondern erstreckt sie auf die Vertretung der Interessen aller schwerbehinderten Menschen in dem Betrieb. Zu diesen gehören die Werkstattbeschäftigten. Aus Gründen demokratischer Legitimation ist es daher angezeigt, ihnen das aktive Wahlrecht zu dem Organ zuzuerkennen, das ihre besonderen Interessen als Schwerbehinderte wahrzunehmen hat.“

Keinen Unterschied macht dabei laut BAG der Umstand, dass in der Einrichtung bereits ein Werkstattrat bestehe. Schließlich handele es sich bei diesen „nicht um eine gegenüber der Schwerbehindertenvertretung speziellere und ausschließliche Interessenvertretung“. Außerdem verträten beide Organe „Interessen von Personengruppen, die sich nur zum Teil überschneiden“:

Während der Werkstattrat die Anliegen behinderter Menschen im sog. Arbeitsbereich wahrnehme, kümmere sich die Schwerbehindertenvertretung um „die individuellen und kollektiven Interessen sämtlicher schwerbehinderter (und diesen gleichgestellter) Menschen im Betrieb“.

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 23.10.2024 (Az.: 7 ABR 36/23).

Vorinstanzen:

  • Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 03.11.2023 (Az.: 16 TaBV 72/23).
  • Vorinstanz: Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main, 01.03.2023 (Az.: 14 BV 1059/22).

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