Verlangt ein Arbeitgeber von einzelnen Arbeitnehmern anders als zuvor im Krankheitsfall bereits ab dem ersten Tag die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, unterliegt das nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden und damit seine Rechtsprechung zum Thema Attestpflicht weiter präzisiert (Az.: 1 ABR 5/22).

Die Betriebsparteien stritten in dem Fall darüber, ob der Arbeitgeber einzelne Beschäftigte anweisen darf, ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen, ohne dass dies mit dem Betriebsrat abgestimmt wäre. Konkret ging es um ein Dokument, das im Verlauf mehrerer Jahre 17 von insgesamt über 1.175 Arbeitnehmern des Betriebes erhalten hatten. Darin hieß es u.a., die Empfänger seien „ab Erhalt dieses Schreibens bis auf Widerruf dazu verpflichtet, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest – vom ersten Fehltag an – im Service Center Personal vorzulegen“. Bei Verstoß gegen diese Attestpflicht würden arbeitsrechtliche „arbeitsrechtliche Maßnahmen“ eingeleitet.

Der Betriebsrat sah darin einen Verstoß gegen seine Mitbestimmungsrechte beim Ordnungsverhaltens der Arbeitnehmer (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz) und forderte die Firma auf, weitere Schreiben dieser Art zu unterlassen bzw. bereits ausgesprochene Anordnungen zurückzunehmen. Als die Firma das verweigerte, beantragte das Gremium vor Gericht eine Unterlassungsverfügung – allerdings ohne Erfolg.

Wie schon die Vorinstanzen wies auch der Erste Senat das Verlangen des Betriebsrats als unbegründet ab. Denn die Anordnungen in diesem Fall, so das BAG, „unterfielen nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats“.

Kollektiver Sachverhalt nötig

Zwar seien Nachweispflichten von Arbeitnehmern bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit prinzipiell mitbestimmungspflichtig. Ein dafür „notwendiger kollektiver Sachverhalt ist aber nur gegeben, wenn die entsprechenden Anordnungen des Arbeitgebers regelhaft erfolgen“, betonten die Richter. Und daran mangele es hier.

Denn die Tatsache, dass von der Anweisung im Streitfall nur eine „äußerst geringe Zahl“ der Mitarbeiter betroffen sei, „deutet gerade darauf hin, dass es sich jeweils um spezifische Einzelfallentscheidungen handelt, die keiner bestimmten Regelhaftigkeit folgen“.

Zudem stehe es laut § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz „grundsätzlich im nicht gebundenen Ermessen des Arbeitgebers, im Einzelfall die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits vor dem vierten Tag der Erkrankung zu verlangen“.

Insgesamt komme ein Mitbestimmungsrecht hier daher nicht in Frage.

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 15.11.2022 (Az.: 1 ABR 5/22).

Vorinstanz: Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 03.12.2021 (Az.: 12 TaBV 74/21).

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass ein Betriebsrat beim Thema ‚Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen‘ sehr wohl mitbestimmen kann. Es muss sich allerdings um allgemeine und grundsätzliche Regeln für alle Beschäftigten handeln (so u.a. BAG, 25.01.2000 – 1 ABR 3/99). Zudem liegt das Mitbestimmungsrecht bei den lokalen (bzw. örtlichen) Gremien und kann nicht mit bloßem Verweis auf die Vorteile einer einheitlichen Regelung im Unternehmen an den Gesamtbetriebsrat übertragen werden (vgl. BAG, 23.08.2016 – 1 ABR 43/14).

Weitere Informationen zum Thema finden sich auch in unserem Arbeitsrechtslexikon.

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