Knapp zwölf Jahre lang war der Mann bei einem (Verleih-)Unternehmen als Sitzefertiger angestellt. Seine vertraglich vereinbarte Arbeit leistete er auf dem Werksgelände eines Automobilherstellers der mit dem Vertragsunternehmen in all den Jahren konzernverbunden war. Der Mann klagte daher mit dem Argument, sein Vertrag mit dem Verleiher sei unwirksam und er stattdessen beim Entleiher angestellt. Der beklagte Betrieb pochte hingegen auf das Konzernprivileg in der Arbeitnehmerüberlassung – aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts eine mögliche Fehleinschätzung des Autobauers (Az.: 9 AZR 13/24).

Die Vorinstanzen haben dem Kläger Recht gegeben. Er hatte sich darauf berufen, dass zwischen ihm und dem entleihenden Unternehmen ein Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 iVm. § 9 Abs. 1 AÜG zustande gekommen sei. Denn vom ersten Tag seiner Beschäftigung an sei er „bei der Beklagten unter Verletzung der Vorgaben des AÜG als Leiharbeitnehmer eingesetzt worden“, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ist allerdings der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer „aus einem der in § 9 Abs. 1 AÜG aufgeführten Gründe unwirksam“, dann kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zustande. „Diese Rechtsnachfolge tritt nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG bei einer Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen nicht ein, es sei denn, der Arbeitnehmer wird ’zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt‘“, so der Senat.

Auf das Konzernprivileg kann sich nach Ansicht der Richterinnen und Richter kein konzernverbundenes Unternehmen berufen, welches den eigenen Mitarbeiter ab dem ersten Arbeitstag einem anderen Betrieb überlässt. Der Kläger habe dargelegt, dass die vertragliche Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und dem eigentlichen Vertragsunternehmen weder dienst- oder werkvertraglicher Natur gewesen sei, sondern eine Arbeitnehmerüberlassung. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hatte in seinem Urteil jedoch „die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG für das Eingreifen des Konzernprivilegs“ als gegeben erkannt. Denn der Kläger sei nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden.

Der Neunte Senat folgte dieser Einschätzung allerdings nicht. Denn das Konzernprivileg sei „nicht nur dann unanwendbar, wenn Einstellung ‚und‘ Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgen“. Vielmehr sei die Konjunktion ‚und‘ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG „als Aufzählung der bezeichneten Sachverhalte zu verstehen“.

Nach dem Willen des Gesetzgebers komme das Konzernprivileg insofern auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zwecks Überlassung „eingestellt ‚oder‘ beschäftigt“ werde. Dies sei regelmäßig dann der Fall, wenn der Beschäftigte seit Arbeitsbeginn über mehrere Jahre hinweg durchgehend als Leiharbeitnehmer eingesetzt werde. Eine solche Praxis indiziere einen entsprechenden Beschäftigungszweck.

Das BAG hat daher das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Das habe nun „die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen […], um beurteilen zu können, ob eine Arbeitnehmerüberlassung gegeben war und das AÜG anzuwenden ist“. Dies hänge u.a. davon ab, ob der Kläger tatsächlich in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert war und dessen Weisungen unterlag oder ob allein das verleihende Vertragsunternehmen gegenüber dem Kläger weisungsberechtigt war.

Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 12.November 2024 (Az.: 9 AZR 13/24).

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 9. November 2023 (Az.: 5 Sa 180/23).

Info

§ 9 Abs. 1 AÜG (Unwirksamkeit) besagt u.a.:

„Unwirksam sind:

  • 1. Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat; der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wird nicht unwirksam, wenn der Leiharbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so beginnt die Frist mit Eintritt der Unwirksamkeit,
  • 1a. Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn entgegen § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers
    nicht konkretisiert worden ist, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen
    Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
  • 1b. Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern mit dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis
    zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält,
  • 2. Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer schlechtere als die ihm nach § 8 zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen,
  • 2a. Vereinbarungen, die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder – diensten im Unternehmen des Entleihers entgegen § 13b beschränken,
  • 3. Vereinbarungen, die dem Entleiher untersagen, den Leiharbeitnehmer zu einem Zeitpunkt einzustellen, in dem dessen Arbeitsverhältnis zum Verleiher nicht mehr besteht; dies schließt die Vereinbarung einer
    angemessenen Vergütung zwischen Verleiher und Entleiher für die nach vorangegangenem Verleih oder mittels vorangegangenem Verleih erfolgte Vermittlung nicht aus,
  • 4. Vereinbarungen, die dem Leiharbeitnehmer untersagen, mit dem Entleiher zu einem Zeitpunkt, in dem das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht mehr besteht, ein Arbeitsverhältnis einzugehen,
  • 5. Vereinbarungen, nach denen der Leiharbeitnehmer eine Vermittlungsvergütung an den Verleiher zu zahlen hat.“

§ 10 AÜG (Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit) besagt:

„(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen. Das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt als befristet, wenn die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher nur befristet vorgesehen war und ein die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Für das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit als vereinbart. Im Übrigen bestimmen sich Inhalt und Dauer dieses Arbeitsverhältnisses nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen; sind solche nicht vorhanden, gelten diejenigen vergleichbarer Betriebe. Der Leiharbeitnehmer hat gegen den Entleiher mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Arbeitsentgelt.

(2) Der Leiharbeitnehmer kann im Fall der Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Verleiher nach § 9 von diesem Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut. Die
Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Leiharbeitnehmer den Grund der Unwirksamkeit kannte.

(3) Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 unwirksam ist, so hat er auch sonstige Teile des Arbeitsentgelts, die bei einem
wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen wären, an den anderen zu
zahlen. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.“

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